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«Schlecht verhandelt»: kein Grund für ungleiche Bezahlung

«Bundesarbeitsgericht» steht auf dem Schild am Eingang zum höchsten deutschen Arbeitsgericht. / Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild
«Bundesarbeitsgericht» steht auf dem Schild am Eingang zum höchsten deutschen Arbeitsgericht. / Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Ihr wurden 3500 Euro monatlich in der Einarbeitungszeit angeboten - die Frau sagte Ja. Doch bald kamen ihr Zweifel und der Verdacht, dass ihr Kollege, der zwei Monate früher eingestellt wurde und den gleichen Vertriebsjob bei einer sächsischen Metallfirma machte, sehr viel mehr verdiente. Die 44 Jahre alte Dresdnerin sah sich wegen ihres Geschlechts benachteiligt und zog für Lohngerechtigkeit durch die Arbeitsgerichtsinstanzen. Am Donnerstag hatte sie vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht in Erfurt Erfolg.

Ihre Anwältinnen sprachen von einem Meilenstein und hoffen auf Rückenwind im Streit um gleiche Löhne und Gehälter von Frauen und Männern in Deutschland. 2022 lag der geschlechterspezifische Verdienstabstand laut Statistischem Bundesamt bei 18 Prozent.

Das Urteil

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass Arbeitgeber Verdienstunterschiede von Frauen und Männern nicht mit deren unterschiedlichem Verhandlungsgeschick begründen könnten (8 AZR 450/21). Er sprach der Dresdnerin eine Gehaltsnachzahlung von 14 500 Euro und eine Entschädigung von 2000 Euro zu. Ihr Arbeitgeber habe «die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt», sagte die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing.

Wenn Frauen und Männer wie im verhandelten Fall bei gleicher Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, begründe das die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts. Diese Vermutung könnten Arbeitgeber nicht mit dem Argument widerlegen, der Mann habe besser verhandelt oder er sei perspektivisch für einen Leitungsjob vorgesehen, begründete Schlewing die Entscheidung. Die Bundesrichter kippten damit Urteile der Vorinstanzen in Sachsen in großen Teilen.

Der Fall

Pech gehabt, war der Diplomkauffrau beschieden worden, als sie vom Chef der Metallfirma in der Nähe von Dresden die gleiche Bezahlung wie ihr kurz zuvor eingestellter männlicher Kollege verlangte. Immerhin betrug der Unterschied beim Grundgehalt in der Probezeit stattliche 1000 Euro monatlich, später nach Einführung eines Tarifvertrags immer noch etwa 500 Euro - bei gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnissen, wurde vor Gericht betont.

Schlecht verhandelt

Ihr Arbeitgeber begründete den großen Gehaltsunterschied damit, dass sie bei ihrer Einstellung schlechter verhandelt habe als ihr männlicher Kollege. Beiden sei zunächst das gleiche Gehaltsangebot gemacht worden, der Mann habe mehr gefordert, um den Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Zudem sollte er eine Leitungskraft ersetzen. Der Arbeitgeber berief sich bei der unterschiedlichen Bezahlung auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit - und hatte damit Erfolg - zumindest beim Arbeits- und Landesarbeitsgericht in Sachsen.

Die Klage

Verhandelt wurde vom Achten Senat des BAG wegen Entgeltdiskriminierung über mehrere Jahre. Er sollte prüfen, ob es sich um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz handelte - und bejahte das. Unterstützt wurde die Klägerin von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nur wenige Frauen würden diesen langwierigen Weg gehen, sagen auch Gewerkschafterinnen.

Worum es ging

Ein Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts und damit Equal Pay sind durch das Gleichbehandlungsgesetz, das Entgelttransparenzgesetz und das Grundgesetz geregelt. Nur objektive, geschlechtsneutrale Gründe wie Qualifikation oder Berufserfahrung können bei gleicher Tätigkeit eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen. «Nun ist klar, Verhandlungsgeschick kann nicht den Ausschlag für Verdienstunterschiede geben», sagte Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. «Die Entscheidung hat eine riesige Praxisrelevanz.»

Die Situation in Deutschland

Laut Statistischem Bundesamt erhielten Frauen 2022 durchschnittlich einen Bruttostundenverdienst von 20,05 Euro - Männer von 24,36 Euro. Nur einen Teil der Lohnlücke erklärte das Statistikamt mit höheren Teilzeitquoten und geringeren Gehältern in frauentypischen Berufen.

Gesetz hilft wenig

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack bezeichnete das Entgelttransparenzgesetz, das seit 2017 für mehr Gleichheit sorgen soll, als zahnlosen Tiger. «Die Hürden für Gehaltsauskünfte sind zu hoch, und es sind keine Sanktionen vorgesehen», sagte Hannack der Deutschen Presse-Agentur. «Der Benachteiligung von Frauen in Deutschland sind noch immer Tür und Tor geöffnet.»

Ähnlich sieht es Lincoln: «Das Gesetz ist zu schwach, um Frauen zu schützen.» Nach dem Transparenzgesetz bestünden Auskunftsrechte zum Gehalt nur in Unternehmen ab 200 Beschäftigten. Sie hoffe auf eine neue Richtlinie der EU voraussichtlich im Sommer, die mehr Transparenz bei der Bezahlung von Frauen schaffen könnte.

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