Ein Polizeieinsatz bei einer Demonstration in Leipzig, bei der die Versammlungsleiterin und Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel kurzzeitig festgesetzt wurde, hat Kritik ausgelöst. Es sei ein «unglaublicher Vorgang», dass die Anmelderin einer Demonstration, die noch dazu parlamentarische Immunität besitze, «wie eine Straftäterin im Polizeigriff abgeführt und dann die Identität festgestellt wird», erklärten die Bundesvorsitzenden der Linken, Janine Wissler und Martin Schirdewan. Der Leipziger Polizeipräsident René Demmler traf sich am Freitag mit Nagel zu einem Gespräch. Beide riefen hinterher zur Deeskalation auf.
Die Polizei hatte Nagel am Donnerstagabend nach eigenen Angaben festgehalten, weil «die Störung einer Amtshandlung» im Raum stehe. Den handelnden Einsatzkräften sei die Politikerin unbekannt gewesen. Nachdem ihre Identität festgestellt worden sei, habe man Nagel wieder entlassen. Die Linken-Politikerin hatte die Demonstration am Kindertag am 1. Juni angemeldet. Für den Aufzug war als «Tag der Jugend» oder «Jugendkampftag» mobilisiert worden. Laut Polizei wurden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern polizeifeindliche Sprüche gerufen.
Die Abgeordnete, die auch Stadträtin in Leipzig ist, hatte in einem Videostatement berichtet, dass sie «relativ brutal» zu einem Polizeiauto geschleppt worden sei. «Im Polizeiauto ist mir auch gesagt worden, dass es den Beamten scheißegal ist, ob ich eine Abgeordnete bin.» Ihre Anwältin habe die Polizei in Telefonaten darauf hingewiesen, dass sie so nicht vorgehen könne.
Der sächsische Grünen-Innenexperte Valentin Lippmann erklärte auf Twitter, ein solches Vorgehen gegen eine Versammlungsleiterin, die zugleich Landtagsabgeordnete ist, sei «indiskutabel». Der SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas kündigte eine «Nachbetrachtung» im Innenausschuss an. Die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz sprach von einer womöglich gewollten Eskalation der Polizei und Polizeiführung bei der Demo am Donnerstag und einer vorherigen am Mittwoch.
In Leipzig ist die Lage seit Mittwoch angespannt. An dem Tag war das Urteil gegen die Studentin Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Neonazis gefallen. Am Mittwochabend war eine Soli-Demo für Lina E. in Leipzig gleich zu Beginn gestoppt worden. Danach eskalierte die Lage kurzzeitig, es flogen Böller und Steine auf die Polizeibeamten.
Die linke Szene mobilisiert seit langem überregional für den Samstag nach dem Urteil zu einem «Tag X» nach Leipzig. Die Stadt hat diese geplante Demo inzwischen verboten, weil ein unfriedlicher Verlauf zu befürchten sei. Der Anmelder hat dagegen geklagt. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig steht noch aus.
Die Demo am Kindertag hatte an sich nichts mit dem «Tag X» zu tun. Sie war gleichwohl von einem starken Polizeiaufgebot begleitet worden, ein Hubschrauber kreiste über der Stadt. Laut Polizei hatte die Demo 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
An dem Gespräch zwischen Nagel und Demmler am Freitag beteiligte sich auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). «Es erfolgte eine sachliche und zugleich kritische Auseinandersetzung mit dem Polizeieinsatz und dem Versammlungsgeschehen, für das sie als Leiterin eine Verantwortung innehatte», so die Polizei. Sollte tatsächlich ein Beamter erklärt haben, Nagels Abgeordnetenstatus sei ihm egal, dann sei die Kommunikation «weder professionell noch in der Sache angemessen». Gleichwohl müsse die Polizei bei Verstößen gegen Normen einschreiten.
Juliane Nagel twitterte, dass sie den «rabiaten Polizeieinsatz bei und nach der Demo» deutlich kritisiert habe. Sie erklärte ebenso wie die Polizei mit Blick auf den «Tag X», dass jetzt Deeskalation nötig sei.
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten