Der emotionale Kontrast zwischen Philipp Raimund und Andreas Wellinger hätte krasser kaum sein können. Während der bestens aufgelegte Raimund immer mehr zum Alleinunterhalter des deutschen Skispringens wird, pfefferte der schwer geknickte Olympiasieger Wellinger seine Ausrüstung an eine Bierbank und zog ohne Weltcup-Punkte vom Heimspiel in Klingenthal.
Wellinger: «Einfach schlecht»
Platz 40 am Samstag und Rang 57 am Sonntag: Wellinger steckt ausgerechnet zwei Wochen vor der Vierschanzentournee in einer schweren Schaffenskrise und geht nach einem weiteren chancenlosen Wochenende in die vorgezogene Weihnachtspause. «Meine springerische Leistung ist einfach schlecht im Moment. Ich kriege es nicht umgesetzt, dass ich Konstanz reinbringe. Es sind so abgehackte Bewegungen», beschrieb Wellinger seine Probleme.
Statt mit seinen Kollegen nach Engelberg in der Schweiz zu reisen, geht Wellinger nun trainieren. «Es ist im Moment so ein bisschen auf der Stelle tappen. Deswegen definitiv raus, ein paar Sprünge machen», sagte der 30 Jahre alte Bayer bereits am Samstag. Zum Abschluss des Heimspiels im Vogtland kam es noch schlimmer. Nicht einmal die Qualifikation für die besten 50 gelang.
Einstige Gold-Riege weg oder schwach
«Wenn man sich das vorstellt, man fährt mit dem Auto nicht mit einem Schwung um die Kurve, sondern mit vier, fünf Ecken. Genau so fühlt sich das Springen momentan an», beschrieb Wellinger in der ARD. Experte Sven Hannawald kann Wellingers Schritt für eine Trainingspause nachvollziehen. «Andi stellt sich dem Kampf. Dass er rausgeht, ist naheliegend. Das Training ist extrem wichtig, weil er viel umstellen muss», sagte der frühere Tournee-Gesamtsieger.
Nach dem Karriereende von Markus Eisenbichler und wegen der schweren Formkrisen von Wellinger und Karl Geiger bleibt aktuell nur eine verlässliche Größe übrig: der 25 Jahre alte Raimund, der in die Weltspitze aufgestiegen ist und beim Heimspiel die Plätze drei und zehn eingefahren hat. «Ich bin aktuell in einem stabilen System, es läuft ein bisschen frei von der Hand. Es läuft», kommentierte Raimund. Er sei «mehr als zufrieden».
Slowenien dominiert
Bei der Tournee (ab 29. Dezember) wird er definitiv zu den Favoriten zählen. Doch die Konkurrenz, vor allem aus Slowenien, ist stark. Flieger Domen Prevc hat die vergangenen vier Wettbewerbe gewonnen, davor hatte Anze Lanisek zwei Siege eingefahren. Und auch Österreichs Team um Stefan Kraft, der nach der Geburt seines Kindes zurück im Weltcup ist, macht immer wieder weiter auf sich aufmerksam.
Für Bundestrainer Stefan Horngacher wird die größte Aufgabe, seine Sorgenkinder in dem olympischen Winter wieder in die Spur zu bekommen. «Wir werden definitiv eine Trainingseinheit einlegen zu Hause beziehungsweise auf ein paar anderen Schanzen und versuchen, ihn wieder aufzupäppeln», sagte Horngacher über Wellinger.
Skispringen habe sehr viel mit Gefühl zu tun, das Gefühl sei momentan nicht da beim langjährigen Weltklasse-Athleten. «Das wird eine Zeit dauern, das geht nicht so schnell und da braucht man Geduld», sagte der Chefcoach. Den ehemaligen Weltmeister Geiger hatte er schon vor Klingenthal aus dem Aufgebot genommen.
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