Der Landkreis Mittelsachsen will bei der Unterbringung von Flüchtlingen neue Wege gehen und eigene Unterkünfte errichten. Der Grund: Es wird immer schwieriger und teurer geeignete Quartiere zu finden. Durch eigene Kapazitäten will der Landkreis unabhängiger werden und die Asylbewerber fairer verteilen. Bislang seien die Städte Freiberg und Hainichen überproportional belastet, teilte das Landratsamt auf Anfrage mit: «Das schafft Probleme, die vermeidbar wären» - etwa mit Blick auf Kindergärten und Schulen.
Mit dem Ansinnen ist der Landkreis in Sachsen Vorreiter. Ihr seien keine weiteren Landkreise bekannt, die selbst Wohnungen bauen wollen, sagte Veronika Müller, stellvertretende Geschäftsführerin des Sächsischen Landkreistages. Die Kreise stünden bei der Unterbringung vor einer großen Herausforderung. Angesichts einer enormen Zahl Geflüchteter sei das kaum noch zu bewältigen. «Es wird immer schwieriger, akzeptierte und überhaupt geeignete Unterkünfte zu finden», erklärte Müller auf dpa-Anfrage. Mit Blick auf den von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für Donnerstag einberufenen Flüchtlingsgipfel fordern die Landkreise mehr Unterstützung vom Bund.
Allein dem Landkreis Mittelsachsen wurden voriges Jahr 726 Personen zugewiesen, nach 493 im Jahr zuvor. Schnelle Entlastung können Neubau oder Sanierung aber nicht bringen. Allein von der Genehmigung bis zur Fertigstellung brauche es 16 bis 18 Monate, so das Landratsamt. Ziel sei es, die Wohnungen über ein Tochterunternehmen zu schaffen und das Ganze durch Landeszuweisungen für belegte Plätze zu refinanzieren. Für den 1. März hat der Landkreis alle großen Vermieter zu einem regionalen Gipfel geladen, um die aktuelle Lage besser einschätzen zu können. Die aktuellen Kapazitäten seien sehr ausgelastet.
Alle Landkreise eine das Ziel, auf Notlösungen so lange es geht zu verzichten, heißt es beim Landkreistag. Vor allem Turnhallen sollten möglichst nicht belegt werden. «Die Herausforderung liegt auch darin, nicht nur einen Wohnraum zu finden, sondern geeigneten Wohnraum, mit entsprechender Infrastruktur und der auch die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung findet», betonte Müller. Es sei nicht immer einfach, hier verschiedene Interessen in Einklang zu bringen.
Seit längerem wiesen die Landräte darauf hin, dass sich die Lage bei der Unterbringung zuspitze, erklärte Müller. Sie formuliert Forderungen, wie man sie in Sachsen immer wieder hört: stärkere Grenzkontrollen, beschleunigte Asylverfahren und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Man brauche eine «Wohnraumoffensive» aus Liegenschaften des Bundes und eine komplette Erstattung der Unterbringungskosten durch den Bund, da er Einfluss auf die Zahl und Aufenthaltsdauer Geflüchteter habe. Zudem brauchten die Landkreise einen finanziellen Ausgleich für erforderliches Personal. Der Bund sei spät dran, habe aber die Problemlage der Kommunen jetzt offenbar erkannt, sagte Müller der «Sächsischen Zeitung» (Mittwoch).
Bei Linke, Grünen und SPD im Landtag stößt das Neubau-Ansinnen aus dem Landkreis Mittelsachsen auf offene Ohren. Der Staat müsse handlungsfähig bleiben statt sich von privaten Vermietern mit ihren teils horrenden Mietforderungen abhängig zu machen, erklärte Juliane Nagel von der Linken. Das Vorhaben in Mittelsachsen müsse vom Land unterstützt werden und andere Landkreise könnten sich ein Beispiel daran nehmen. «Auf diese Weise können die Landkreise und Kommunen langfristig eine gute Verteilung und humane Unterbringung der Geflüchteten gewährleisten», betonte auch Petra Čagalj Sejdi, Sprecherin für Asyl, Migration und Integration bei den Grünen.
SPD-Politiker Albrecht Pallas lobte den Pragmatismus von Landrat Dirk Neubauer (parteilos). Statt wie andere «Das Boot ist voll» zu rufen, würden in Mittelsachsen nachhaltige Lösungen geschaffen. «Der Schwerpunkt dezentraler Unterbringung und die dauerhafte Schaffung bezahlbarer Wohnangebote fördern die Integration.» Bund und Land müssten solche Initiativen unterstützen, indem sie geeignete Grundstücke zur Verfügung stellen. Die CDU-Fraktion verwies auf die Zuständigkeit der kommunalen Ebene für die Unterbringung von Flüchtlingen und wollte den Vorstoß deswegen nicht bewerten.
AfD-Partei- und Fraktionschef Jörg Urban äußerte sich auf Anfrage allgemein. «Wir brauchen einen sofortigen Aufnahme-Stopp, Grenzkontrollen und eine Abschiebe-Offensive. Ständig die Asylkapazitäten auszuweiten, führt absehbar zum finanziellen Kollaps der Kommunen und belastet den sozialen Frieden in Sachsen.» Richtig wäre es, außerhalb Europas Zentren zu betreiben, in denen die Schutzbedürftigkeit geprüft wird. Nur anerkannte Flüchtlinge würden dann die Erlaubnis zur Einreise nach Deutschland erhalten.
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