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«Aufputschender Protest»: Gewalt gegen Flüchtlinge

Der Eingangsbereich der geplanten Flüchtlingsunterkunft. / Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Der Eingangsbereich der geplanten Flüchtlingsunterkunft. / Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Der jüngste Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bautzen lässt Erinnerungen an die Jahre 2015 und 2016 in Sachsen wach werden. Linke und Flüchtlingsrat warnen vor einer neue Welle von Angriffen und Protesten.

Linken-Politikerin Kerstin Köditz fürchtet in Sachsen zunehmend Angriffe auf Flüchtlinge und hat die Landesregierung zum Handeln aufgefordert. «Es droht nicht nur eine ähnliche Welle von Angriffen und Anschlägen wie vor sechs, sieben Jahren, sondern diese Welle hat uns bereits erfasst», sagte die Innen-Expertin ihrer Partei der Deutschen-Presse Agentur. «Die aktuelle Häufung von Taten ist gar nicht von der Hand zu weisen.» So hatten etwa am vergangenen Freitag Unbekannte Fensterscheiben des ehemaligen «Spreehotels» in Bautzen eingeworfen und dort Feuer gelegt. Das Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum ermittelt wegen schwerer Brandstiftung.

Ab Anfang November sollte das Haus als Unterkunft für Geflüchtete zur Verfügung stehen. Das sei vorerst aber nicht absehbar, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes. Unbekannte hatten jüngst auch in Leipzig eine Unterkunft angegriffen. Auch dort kann ein politisches Motiv nach Angaben der Polizei nicht ausgeschlossen werden.

«Wir beobachten jetzt eine vergleichbare Dynamik von aufputschendem Protest aus rechten Milieus, wo man offenbar auch bereit ist, zu härteren Mitteln zu greifen - und erneut richtet sich die Gewalt gegen Migrantinnen und Migranten», so Köditz. Das Problem dürfe nicht kleingeredet werden, es brauche nun «hohen Ermittlungsdruck und konsequente Strafverfolgung».

Nach Angaben des Innenministeriums werden vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse genutzte oder geplante Flüchtlingsunterkünfte im Freistaat nun verstärkt geschützt - unter anderem durch mehr Polizeistreifen vor Ort. Bei Bedarf könnten auch gesonderte Maßnahmen zum Schutz getroffen werden, hieß es.

Die derzeitige Situation ist aus Sicht des Innenministeriums aber nicht vergleichbar mit 2015. «Einhergehend mit dem sprunghaften Anstieg des Zuzugs von Asylbewerbern im Jahr 2015 stieg auch die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Straftaten erheblich», so eine Sprecherin. Seit 2016 sei aber ein rückläufiger Trend feststellbar. Laut Innenministerium wurden in Sachsen 2015 insgesamt 819 entsprechende Straftaten registriert. Im vergangenen Jahr waren es 473, bis Mitte Oktober wurden nach vorläufigen Zahlen für dieses Jahr 425 fremdenfeindliche Straftaten registriert.

In den Jahren 2015 und 2016 hatte es verstärkt Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sowie Proteste gegen die Unterbringung im Freistaat gegeben - unter anderem im Dezember 2016 einen versuchten Brandanschlag auf das Bautzener «Spreehotel». Molotow-Cocktails wurden auf das Gelände geworfen, auch damals waren dort Flüchtlinge untergekommen. Das sächsische Heidenau war im August 2015 nach tagelangen massiven Ausschreitungen von Rechtsextremen vor einer Flüchtlingsunterkunft in die Schlagzeilen geraten. Im Chemnitzer Stadtteil Einsiedel hatte es über Monate hinweg Proteste gegen die Aufnahme Geflüchteter vor Ort gegeben.

Nun will die Landesdirektion in einem früheren Pionierlager in Chemnitz-Einsiedel erneut asylsuchende Familien mit Kindern aus Krisen- und Kriegsgebieten unterbringen. Nach Bekanntgabe hatte sich am 19. Oktober nach Angaben der Polizei ein nicht angemeldeter Protestzug mit rund 250 Teilnehmern formiert.

In den vergangenen Monaten haben die Behörden einen starken Anstieg der Zahl ankommender Migranten in Sachsen über die sogenannte Balkanroute registriert. Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte bereits wiederholt vor einer Überforderung bei der Unterbringung gewarnt und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer gefordert.

«Leider beobachten wir mit Sorge eine Zunahme rechtsextremer Demonstrationen in Sachsen vor Unterkünften von Geflüchteten oder in unmittelbarer Nähe», sagte Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Nachdem die Pandemie weniger relevant erscheine, rücke das Feindbild der Flüchtenden wieder mehr in den Fokus. «Sie haben leichtes Spiel, denn aufgrund der Inflation und steigender Energiepreise sind aktuell weite Teile der Bevölkerung stark verunsichert.» Der Flüchtlingsrat appellierte, Solidarität mit Geflüchteten zu zeigen und mehr Möglichkeiten zur dezentralen Unterbringung zu schaffen. Ankommen und Integration gelängen dabei deutlich schneller als in Massenunterkünften.

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