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Meine neue Heimat kannte ich nur aus dem Kraftklub-Song „Karl-Marx-Stadt“

Eva Maria Schmitt
Eva Maria Schmitt

In diesem Schuljahr unterstützen Fellows von Teach First Deutschland erstmals auch in sächsischen Schulen. Ein Erfahrungsbericht von Eva Maria Schmitt.


Das neue Schuljahr läuft bereits seit über vier Wochen. Für die Grundschule Gablenz in Chemnitz ist es ein ganz besonderes Schuljahr, denn Eva Maria Schmitt unterstützt als Fellow von Teach First Deutschland die Schülerinnen und Schüler. Als Vertrauensperson und zusätzliche Kraft im Unterricht ermöglicht sie den Kindern, ihr volles Potential zu entfalten und eigene Ideen ihrer Zukunft zu entwickeln.

Nachdem wir im Juni 2018 davon berichtet haben, dass in Sachsen erstmals eigene Fellows unterstützen werden, haben wir nun mit Eva Maria Schmitt über ihre Motivation und ihre ersten Eindrücke gesprochen.
 
DieSachsen.de: Was hat sie bewogen, Fellow zu werden?
Eva Maria Schmitt: Mir bietet das Programm eine Möglichkeit, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Ich kann  etwas Sinnvolles für unsere Gesellschaft tun und habe gleichzeitig die Möglichkeit, mich selbst enorm weiterzuentwickeln. Teach First Deutschland gibt mir dazu zum einen die Weiterbildungen an die Hand, zum anderen werden wir Fellows durch das Netzwerk der Organisation unterstützt und inspiriert. Ich habe die Chance, mich selbst als Lehrende auszuprobieren und in diesem Bereich kompetenter zu werden. Ich wollte früher mal Lehrerin werden, vielleicht ist das ja auch der verspätete Ruf ans Schulpult? Und selbst wenn nicht, werde ich auf jeden Fall von der Erfahrung profitieren.
Ich musste außerdem dringend aus meiner akademischen Blase heraus. In meinem Freund*innen- und Bekannt*innenkreis sind gesellschaftskritisches Denken und Handeln schon weit gediehen, da schläft jede zweite mit Judith Butler und Karl Marx unterm Kopfkissen ein. Ich will progressive Ideen in die Mitte der Gesellschaft bringen. Und wo könnte man da besser aufgehoben sein, als in der Schule? Ich will keine kommunistische Revolution aus der Taufe heben, aber doch wohl gerechteres, nachhaltiges und friedliches Zusammenleben fördern – und das am liebsten für alle Menschen dieser Erde. Da Weltretten so ein unübersichtliches Projekt ist, fange ich erstmal mit Teach First Deutschland an.

DieSachsen.de: Wollten Sie speziell nach Chemnitz oder wieso sind sie in Sachsen gelandet?
Eva Maria Schmitt: Eigentlich wollte ich in Mannheim bleiben, das hat allerdings wegen einer bürokratischen Angelegenheit nicht geklappt. Als das Matching-Team – diejenigen also, die Fellows und Schule passgenau zusammenbringen – dann meinte, es gäbe noch Plätze in Sachsen, habe ich eingewilligt. Trotzdem war ich baff, als es beim nächsten Anruf hieß, „Grundschule in Chemnitz“! Meine neue Heimat kannte ich nur aus dem Kraftklub-Song „Karl-Marx-Stadt“ und einem dazu passenden Artikel, den ein Musikmagazin abgedruckt hatte. Aber gerade dass ich so wenig über die Stadt wusste, hat mich gereizt und das Abenteuer „TFD Fellow“ perfekt gemacht. Für mich als 'Wessi' ist es zudem spannend, Sachsen als ostdeutsches Bundesland besser kennenzulernen – besonders in diesen politisch so polarisierten Zeiten. Hier kann ich einen Unterschied machen, vielleicht viel mehr noch als in Mannheim. Das treibt mich an.

DieSachsen.de: Wie wurden sie auf die Arbeit an der Grundschule vorbereitet?
Eva Maria Schmitt: Alle Fellows durchlaufen ein recht umfangreiches Trainingsprogramm, bevor sie in den Schuleinsatz gehen. Wir machen ein Kurzpraktikum an einer potentiellen Einsatzschule, erlangen dann in einem Online-Campus erste pädagogisch-didaktische Kenntnisse und können diese anschließend in der Sommerakademie vertiefen. In dieser Zeit lernen wir auch die anderen Fellows und das Team kennen. TFD legt großen Wert auf Teambuilding, kollegiale Fallberatung und Kooperationen mit anderen Organisationen. Diese Unterstützung, zusätzliche Expertise und auch Inspiration aus den verschiedensten Themenfeldern ist schon was ganz besonderes und etwas, das wir mit in die Fellow-Zeit nehmen.
 
DieSachsen.de: Ist die Grundschule Gablenz eine ganze besondere Schule oder gibt es Besonderheiten?
Eva Maria Schmitt: Die Grundschule Gablenz ist eine von zwei Schulen in Chemnitz, in der Kinder aller Stadtteile zusammenkommen, die eine diagnostizierte Leserechtschreibschwäche haben. Die Schüler*innen haben dann in einer auf 2 Jahre ausgedehnten dritten Klassenstufe Zeit, das Lesen und Schreiben noch einmal zu lernen. Insofern ist sie schon eine besondere Schule. Abgesehen davon plagen wir uns mit Lehrer*innenmangel und einem in einigen Punkten lernunwilligen sächsischen Schulsystem herum. Insofern: nichts Außergewöhnliches!

DieSachsen.de: Was glauben Sie, können Sie mit ihrer Mitarbeit bewirken?
Eva Maria Schmitt: Ich sehe definitiv den Bedarf an der Schule und habe mit dem Buchclub und dem damit zusammenhängenden Wiederaufbau der Bibliothek auch schon das erste größere Projekt im Blick. Es ist mir wichtig, Sachen an der Schule anzustoßen, die über meinen Einsatz hinaus wirken. Dazu gehört auch, Themen wie Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und politische Bildung auf die Agenda der Schule zu bringen. Das sind natürlich große Ambitionen und alles wird mir vielleicht nicht gelingen. Daher halte ich mir immer vor Augen: Allein dadurch, dass ich den Schüler*innen Zeit und Zuwendung gebe, an sie glaube und sie unterstütze, ist schon viel getan.

DieSachsen.de: Was sind Ihre ersten Eindrücke?
Eva Maria Schmitt: Dass es so anstrengend würde, hätte ich nicht gedacht. Es ist schon eine gewaltige Herausforderung, beinahe ohne pädagogische Erfahrungswerte in eine höchst diverse Schüler*innenschaft gesteckt zu werden. Da sind ja sogar die erfahrenen Lehrer*innen manchmal mit ihrem Latein am Ende. Aber ich bekomme aus dem Netzwerk viel Rat und Rückhalt und habe auch mit meiner WG einen echten Glücksgriff gemacht. Die Schulleiterin, meine Mentorin und die Lehrerinnen erleichtern mir den Einstieg ebenfalls soweit es geht. Ich fühle mich willkommen an der Schule, das ist schon viel wert.

DieSachsen.de: Wissen Sie schon, wie es für sie nach der Fellow-Zeit weitergeht?
Eva Maria Schmitt: Soweit denke ich jetzt noch nicht. Wenn ich großen Gefallen an der Arbeit mit Kindern finde, werde ich mich in diesem Bereich weiter orientieren. Wichtig ist für mich in jedem Fall, dass ich weiter etwas tue, was meiner Meinung nach sinnvoll ist. Yoga, politische Arbeit und Bildung stehen jedenfalls momentan ziemlich weit oben auf der Liste.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Frau Schmitt! Wir wünschen Ihnen eine erfahrungsreiche und wertvolle Zeit in Chemnitz!
 
Das Interview führte Doreen Wolf