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Sorbisches Parlament - wieso, weshalb, warum? Wir haben nachgefragt

DieSachsen.de (Bild: Thomas Wolf)
DieSachsen.de (Bild: Thomas Wolf)

Die in der Lausitz lebenden Sorben und Wenden werden im November ihr eigenes Parlament wählen. Eigenes Parlament? Da fallen einem irgendwie


Die in der Lausitz lebenden Sorben und Wenden wählen noch bis zum 3. November 2018 ihr eigenes Parlament. Eigenes Parlament? Da fallen einem irgendwie direkt die Katalanen ein, die ebenfalls ein eigenes Parlament haben und unabhängig sein wollen. Oder die dänische Minderheit, die im Kieler Landtag vertreten ist, obwohl sie die 5 Prozent Hürde nicht genommen hat und rechnerisch auch nicht nehmen könnte. Um besser einordnen zu können, was hier in Sachsen und Brandenburg passiert, haben wir uns mit dem Wahlleiter Hagen Domaschke (43) getroffen und Fragen gestellt.

Vielen Dank, Herr Domaschke, dass Sie sich trotz des engen Terminplans die Zeit nehmen, um mit uns zu sprechen.

DieSachsen.de: Es gibt ja bereits einen Verein (Domowina - Bund Lausitzer Sorben e. V.) der sich um die Belange der Sorben kümmert. Warum soll jetzt eine zweite Interessenvertretung installiert werden und welche Ziele verfolgt diese?

Domaschke: Der Initiative Serbski Sejm geht es darum, eine Demokratielücke zu füllen. Das Volk der Sorben hat keine Volksvertretung. Somit gibt es für sorbische Belange:

1) keine institutionelle Plattform zur Meinungsbildung,
2) keinen demokratisch legitimierten Ansprechpartner nach außen,
3) keine Entscheidungshoheit nach innen und
4) keine demokratische Kontrolle über das Budget.

Keiner der genannten Punkte kann wirkungsvoll durch einen Lobbyverband wie die Domowina umgesetzt werden. Das Fehlen einer sorbischen Volksvertretung ist eine Folge der jahrzehntelangen Diktaturen, der Umbrüche nach der Wende und der geringen Relevanz sorbischer Belange für den deutschen Staat.

Der erste Serbski Sejm wird zunächst nur Punkt 1) und 2) erfüllen können. Langfristig wird auch die Übertragung hoheitlicher Rechte im Kultur- und Bildungsbereich angestrebt. Dafür muss der Staatsvertrag mit Brandenburg, Sachsen und dem Bund neu verhandelt werden. Ziel ist die Renaissance des Sorbischen, das heißt, gute und moderne Bildung auf Sorbisch für alle Sorben, vielfältige Medienabgebote, wie 24 h Radio, 24 h TV, Nachrichtenseiten und Mitentscheidungsrechte bei allen anderen die Sorben betreffenden Themen, wie Bergbau, Wasser, Demografie oder Strukturwandel. Für das sorbische Volk soll der Staat eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts schaffen.

DieSachsen.de: Welche Rolle wird das sorbische Parlament in der sächsischen und brandenburgischen Landespolitik einnehmen? Wollen Sie auch in die Landtage?

Domaschke: Die Landtage sind Organe der Bundesländer. Das sorbische Volk hat dort über die Sorbenräte Beobachterstatus mit geringen Einflussmöglichkeiten. Natürlich gibt es auch einzelne Abgeordnete sorbischer Nationalität, aber eher zufällig und nicht als Vertretung aller Sorben.

Der Einfluss der Sorbenräte an den Landtagen soll gestärkt werden. Zusätzlich sollte es einen Sorbenrat beim Bundestag und einen deutschen Beirat am Serbski Sejm geben. Diese Räte können die Scharniere zwischen den deutschen Parlamenten und dem Sejm sein.
Innerhalb der deutschen Politik soll der Sejm über die Belange der sorbischen Bildung und Kultur autonom entscheiden können. Bildung ist Ländersache, hier werden also umfangreiche Verhandlungen zwischen dem deutschen Staat und dem Sejm nötig sein, um die Kompetenzen klar abzugrenzen.

DieSachsen.de: Muss die Bundesrepublik Angst haben, dass die Sorben und Wenden im nächsten Schritt vielleicht einen eigenen territorialen Anspruch geltend machen und ähnlich wie die Katalanen agieren?

Domaschke: Nein. Ein ausschließlich sorbisch besiedeltes Territorium gibt es schon lange nicht mehr. Somit fehlt jede Grundlage für territoriale Autonomie. In der Vergangenheit gab es zwar auch Ideen zu territorialen Veränderungen, z.B. nach dem Krieg der Anschluss der Lausitz an die Tschechoslowakei oder nach der Wende die Bildung eines Bundeslandes Lausitz. Die aktuellen Kandidaten für den Sejm sprechen sich aber ausschließlich für eine Autonomie im Bildungs- und Kulturbereich aus, die nicht auf territorialer, sondern auf personeller Ebene gelten soll.

DieSachsen.de: Sie haben ja die Herausforderung, dass es kein wirkliches sorbisches Wählerverzeichnis gibt. Warum ist das so und wie lösen Sie das Problem?

Domaschke: Aus den Erfahrungen der Nazidiktatur hat man gelernt, dass der Staat keine Möglichkeit mehr haben soll, Menschen aufgrund ethnischer Aspekte in Listen zu erfassen. In der Verfassung steht: "Sorbe ist, wer sich dazu bekennt. Das Bekenntnis darf nicht angezweifelt oder geprüft werden." Daran halten wir uns selbstverständlich. In das Wählerverzeichnis können deshalb nur Personen eingetragen werden, die sich aktiv darum bemühen. Die Wahl zum Sorbenrat in Brandenburg 2015 hat gezeigt, dass dieser Modus funktioniert und zu einem rechtssicheren Ergebnis führen kann.
Wir erwarten, dass bei wachsender politischer Mitbestimmungsmöglichkeit die Strahlkraft des Sejms wächst und sich die Anzahl der Wähler immer weiter erhöhen wird, so wie das auch bei anderen kleinen Völkern wie den Samen in Skandinavien der Fall war.

DieSachsen.de: Könnte sich also jeder Mensch dazu bekennen Sorbe zu sein und würde dann die Wahlunterlagen zugesandt bekommen?

Domaschke: Selbstverständlich!

DieSachsen.de: Befürchten Sie da keinen Missbrauch?

Domaschke: Nein. Warum sollten sich massenhaft Menschen dazu bekennen, Sorben zu sein, ohne es so zu meinen? Selbst wenn die Bekenntnisfreiheit mit schädlicher Absicht missbraucht werden würde: Die Wähler können ja doch nur sorbische Kandidatinnen und Kandidaten wählen. Das wird durch die Wahlordnung sichergestellt, indem nur sorbische Vereine und Gruppierungen Kandidaten aufstellen dürfen.

DieSachsen.de: Was soll das sorbische Parlament in den nächsten 5 Jahren bewirken?

Domaschke: Ich bin der Wahlleiter und werde deshalb nicht den Entscheidungen der gewählten Vertreter vorgreifen. Aber die laufende Diskussion in der sorbischen Öffentlichkeit zeigt, dass viele Sorben Ängste vor Veränderungen durch demokratische Prozesse haben. Das könnte daran liegen, dass viele sich mit dem Rücken am Abgrund sehen - da fühlt sich der Spielraum klein an. Die sorbische Sprache ist seit Jahrzehnten derart massiv unter Druck, dass sie akut vom Aussterben bedroht ist. Die letzten Sprecher bilden Inseln und versuchen verzweifelt, die Sprache für die Kinder am Leben zu halten. Der deutsche Mehrheitsstaat verteilt Almosen, drückt bei der Transparenz alle Augen zu und erwartet von den Sorben, dass sie irgendwie selbst klarkommen.

Die wichtigste und dringendste Aufgabe des Sejms wird aus meiner Sicht sein, den Sorben Mut zu geben und alle Kräfte zu einen. Dafür brauchen wir nach innen eine transparente und konsensorientierte parlamentarische Debatte. Gleichzeitig muss der Sejm nach außen die Stimme aller Sorben sein und bei den Deutschen überall den Finger in die Wunde legen, wo sorbische Rechte missachtet werden: Schule, Braunkohle, Medien.

Zweitens müssen Verhandlungen mit dem deutschen Staat aufgenommen werden mit dem Ziel, hoheitliche Rechte im Bildungs- und Kulturbereich an die Sorben zu übertragen. Die Vorteile der Subsidiarität liegen auf der Hand: Eigenverantwortlichkeit wirkt motivierend, Entscheidungen werden kompetent getroffen, die Bereitschaft zur Mitwirkung steigt und der Zentralstaat wird "entlastet". Dieser Prozess wird sicher viele Jahre dauern und muss nun dringend beginnen. Der Serbski Sejm wird die Lausitzer Zivilgesellschaft beleben, die Demokratiekompetenz fördern und Sorbisch wieder cool machen.

Vielen Dank, Herr Domaschke.