Die Verteidigung der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. hat im Plädoyer schwere Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft und den Senat am Oberlandesgericht Dresden erhoben. Verteidiger Ulrich von Klinggräff sprach am Mittwoch von «politischer Justiz»: Es habe von Anfang an eine Vorverurteilung seiner Mandantin und einen Schulterschluss von Gericht und Bundesanwaltschaft gegeben. Beide hätten eine «gemeinsame Front» gegen die Beschuldigten aufgebaut. Alternative und entlastende Annahmen seien außer Acht gelassen worden. Zentrale Teile der Anklage würden auf Mutmaßungen beruhen. «Hypothesen ersetzen für die Bundesanwaltschaft die Beweise.»
Der Prozess hatte unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im September 2021 begonnen. Neben der inzwischen 28 Jahre alten Studentin Lina E. müssen sich drei Männer aus Leipzig und Berlin vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen 2018 und 2020 Angehörige der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach zusammengeschlagen zu haben. Zudem sind sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, als deren Kopf Lina E. gilt. Ein Kronzeuge hatte die Beschuldigten belastet.
Die Bundesanwaltschaft vertrete die Ansicht, dass Gefahr gleichermaßen von den radikalen Rändern drohe und links und rechts gleichzusetzen seien, sagte der Verteidiger. Man dürfe die von rechts ausgehende Gefahr aber nicht verschweigen. In Deutschland existiere seit langem ein Nazi-Terror. Seit 1990 seien hier 219 Menschen von Rechtsextremen getötet worden.
Von Klinggräff warf der Bundesanwaltschaft vor, aus minimalen Anhaltspunkten Indizien gebastelt zu haben - er sprach von «Rosinenpickerei». Man picke sich nur das heraus, was in die eigene Anschauung passe. «Schwache Beweisführungen werden nicht besser, wenn sie kumulativ aufgeführt werden.»
Zudem rügte der Verteidiger «exzessive» Sicherheitsvorkehrungen für den Prozess. Im Laufe des Verfahrens sei es zu keinerlei Vorfällen gekommen. Dennoch habe man an einem «polizeilichen Popanz» festgehalten. Der Konvoi an Polizeifahrzeugen, der Lina E. jedes Mal zu einer Verhandlung begleitet habe, sei völlig unnötig gewesen.
Scharfe Kritik gab es auch am Vorsitzenden Richter Hans Schlüter- Staats. Zu keinem Zeitpunkt habe man den Eindruck gewonnen, dass der Senat eine kritische Würdigung der Beweise und der polizeilichen Arbeit vorgenommen habe. Immer, wenn es Kritik an der Arbeit der Sonderkommission Linksextremismus gab, habe sich der Vorsitzende dazwischengeworfen, als hätte er die Kritik persönlich genommen.
Verteidiger Erkan Zünbül hielt den Vorwurf zur Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die Beweisaufnahme widerlegt. Auch er monierte Umstände der Verhandlung, die wie ein Terror-Prozess geführt worden sei. Man habe täglich ein «Hochsicherheitsspektakel» erlebt, damit sei eine Gefährlichkeit von Lina E. suggeriert worden. Man hätte ihr auch eine Fahrkarte geben können und sie wäre pünktlich an jedem Verhandlungstag mit dem Zug angereist, sagte er. Doch das Aufgebot habe die Anklage rechtfertigen sollen.
Die Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. acht Jahre Haft verlangt. Rechtsanwalt von Klinggräff nannte das am Mittwoch «maßlos.» Für die anderen Beschuldigten wurden von der Anklagevertretung Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und drei Jahren neun Monaten beantragt.
Die Verteidigung von Lina E. wollte am Ende kein konkretes Strafmaß benennen. Sie ging aber davon aus, dass ihre Mandantin von fast allen vorgeworfenen Straftaten freigesprochen werden müsse und im Fall des zweiten Überfalls auf eine rechte Szene-Kneipe in Eisenach lediglich eine Bewährungsstrafe in Frage käme. Von Klinggräff verwies auf die lange Untersuchungshaft, die nun schon zweieinhalb Jahre dauere. Auch eine Rheumaerkrankung von Lina E., die sich durch die U-Haft verstärkt habe, wertete er als strafmildernd.
Schließlich beantragte der Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls. Ein Untertauchen von Lina E. schloss er wegen ihrer engen familiären Bindung und ihrer Erkrankung aus. Sie werde nachher ein neues Leben führen, ihre Wohnung wieder beziehen und ihren Masterstudiengang in Erziehungswissenschaft an der Universität Halle fortsetzen.
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