Abgekämpft und überglücklich: Der 14. November dürfte sich für Sabine Treffkorn wie ein zweiter Geburtstag anfühlen. Am 20. Oktober sind ihr in der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Dresdner Universitätsklinikum ein Tumor aus der Bauchspeicheldrüse und eine Metastase aus der Leber entfernt worden. Dreieinhalb Wochen später wartet sie nun bei strahlend blauem Himmel auf ihren Entlassungsschein. Sie trägt ein lilafarbenes Oberteil. Lila ist die Farbe, mit der jedes Jahr auch in Deutschland an diese teuflische Krebserkrankung erinnert wird. Lila steht für Mut und Überleben.
Hoffnung auf eine möglichst lange Lebensqualität
«Ich bin jetzt super glücklich, weil es mir jetzt auch wirklich gut geht, erstaunlich gut für solch eine Operation», verrät die 49 Jahre alte Projektmanagerin aus Berlin. «Und ich freue mich natürlich, dass das geklappt hat und dass die Ärzte und Schwestern sich so viel Mühe mit mir gegeben haben. Ich habe jetzt große Hoffnung, dass ich noch lange eine gute Lebensqualität habe.»
Noch vor einem halben Jahr sah die Welt für sie ganz anders aus. Kurz nach Pfingsten erhielt sie eine Diagnose, die in den meisten Fällen einem Todesurteil gleichkommt: Pankreaskrebs. Die Erkrankung ist besonders heimtückisch, denn Symptome gibt es im Frühstadium nicht. Sabine Trefferkorn verlor anfangs immer mehr an Gewicht, ohne dass sie ihre Lebensweise oder Ernährung geändert hatte.
«Dann kamen unspezifische Sachen dazu, etwa Schmerzen unterhalb der Rippen. Weil die immer wieder verschwanden, bin ich nicht zum Arzt gegangen», erzählt die Frau. Später sei es mit starken Bauch- und Rückenschmerzen akut geworden. Beim dritten Mal habe ihre Mutter sie zur Notaufnahme gebracht. Anfangs hätten die Ärzte auf Gallensteine getippt. Doch schon bald habe die Diagnose festgestanden.
Diagnose als Schock erlebt
«Mein Vater ist vor sieben Jahren an Pankreaskrebs gestorben. Ich kannte mich mit der Erkrankung schon aus, aber hatte trotzdem nicht daran gedacht, dass ich das jetzt haben konnte», sagt Sabine Treffkorn. Die Diagnose habe sie geschockt. Zur Untersuchung im Krankenhaus Straußberg habe man gesagt, sie könne nur noch palliativ behandelt werden und ihr schon mal die Palliativstation gezeigt.
Auch später an der Berliner Charité habe man ihr keine Hoffnung gemacht, sagt Treffkorn. Durch Vermittlung ihrer Tante, einer Nuklearmedizinerin aus Leipzig, sei sie ans Dresdner Uniklinikum gekommen. Die Zeit der Ungewissheit habe sie gar nicht so als Berg- und Talfahrt erlebt. «Ich war eigentlich zuversichtlich. Dass man mich in Dresden operieren wollte, gab mir Hoffnung.» Auch der Rückhalt der Familie habe dazu beigetragen.
Die Wissenschaft weiß noch nicht exakt, warum die Fälle von Pankreaskrebs in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Allein in Deutschland traten 2023 rund 20.000 Neuerkrankungen auf. «Ein Grund ist sicherlich, dass die Bevölkerung immer älter wird. Je älter man wird, desto höher ist das Risiko, an Krebs zu erkranken», betont Jürgen Weitz, Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Dresden.
Meist ist die Erkrankung nur Pech und Zufall
Der Professor verweist auf Risikofaktoren wie Übergewicht, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum, Rauchen und chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung. Es gebe auch eine gewisse erbliche Komponente. «Meist ist es einfach Pech und Zufall, leider». Wenn Beschwerden auftreten, solle man nicht panisch werden, sich aber auf jeden Fall untersuchen lassen.
Damit ist man allerdings schon beim nächsten Problem. Denn bei einem Pankreaskrebs gibt es keine echten Frühsymptome, sagt Weitz. Ein klassisches Warnsignal sei eine Gelbverfärbung der Haut. Aber auch unspezifische Symptome wie Gewichtsverlust, Schmerzen im Bauch, Abgeschlagenheit können auf die heimtückische Krankheit verweisen. Gleiches gelte für eine neu aufgetretene Zuckerkrankheit.
Pankreaskrebs vierthäufigste Todesursache bei Krebs
Pankreaskrebs ist heute unter den Krebserkrankungen bei jedem Geschlecht die vierthäufigste Todesursache. 2030 werde es die zweithäufigste sein, sagt der 59 Jahre alte Professor. Bei Darmkrebs, Prostatakrebs oder Brustkrebs gebe es gute Vorsorgeprogramme. «Sie werden in früheren Stadien entdeckt, damit wird die Prognose besser. Bei der Bauchspeicheldrüse geht das noch nicht.»
Eine Tumorresektion aus der Pankreas gehört zu den schwierigsten Eingriffen in den menschlichen Körper. Denn das Organ liegt mitten im Bauch und ist von wichtigen Blutgefäßen umgeben. «Auf der einen Seite muss man radikal operieren, den Tumor komplett entfernen. Auf der anderen Seite gilt es die Umgebung zu schonen, gegebenenfalls müssen Blutgefäße entfernt werden, wenn der Tumor dort eingewachsen ist.»
«Bei der Bauchspeicheldrüse steht der Arzt immer vor der Entscheidung: Kann ich den Tumor entfernen oder nicht. Es geht um Ja oder Nein. Das entscheidet das Schicksal des Patienten», erklärt der Professor das Problem. Bei nur etwa 20 Prozent der Patienten könne man eine Resektion vornehmen. Bei den anderen sei lediglich eine Palliativbehandlung möglich, um die Auswirkungen zu lindern.
Prognose bessert sich bei erfolgreicher Entfernung des Tumors
Weil der Pankreaskrebs zu den aggressivsten Krebsarten zählt und oft erst spät erkannt wird, überleben nur rund elf Prozent der Erkrankten die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. «Man muss aber differenzieren. Wenn man einen Tumor komplett entfernt, ist die Prognose viel, viel besser. Viel besser ist sie auch bei einer Kombination von Resektion und Chemotherapie.»
Auch wenn jeder Pankreaskrebsfall ein Einzelfall ist, gibt es eine Art standardisiertes Vorgehen. Vor einer Operation erhält der Patient bei einem lokal fortgeschrittenen Befund drei Monate lange eine Chemotherapie, um den Tumor zu verkleinern. Nach der OP folgt häufig noch eine Chemo. Die Sterberate bei einer Operation hängt nicht zuletzt davon ab, wo sie erfolgt. In einem Zentrum mit erfahrenen Spezialisten ist sie niedriger, heißt es.
Pankreas-OP gilt als sehr komplizierter Eingriff
Gerade wenn es während oder nach der OP zu Komplikationen kommt, ist ärztliche Kunst gefragt. «Eine Operation der Bauchspeicheldrüse ist knifflig», berichtet Weitz. Es könne zu schweren Nachblutungen kommen. Die Nahtstelle zwischen Pankreas und Darm sei besonders heikel, die Erfahrung des Ärzteteams entscheidend. Mit 160 bis 180 Resektionen pro Jahr gehöre man in Dresden bundesweit zu den größten Zentren.
Sebastian Hempel, der behandelnde Oberarzt von Sabine Treffkorn, gehört zu jenen Ärzten in Dresden, die die Kunst der Pankreas-Operationen beherrschen. Acht Stunden lang hat er mit Jürgen Weitz und anderen Kollegen den Tumor aus der Bauchspeicheldrüse von Treffkorn entfernt. Nach der OP hatte er ein gutes Gefühl.
Positive Motivation ist das A und O der gesamten Behandlung
«Wir müssen die Patienten gut und ausführlich beraten, sie aufklären, was wir bei dieser Erkrankung machen können und was nicht. Daraus können sie auch Hoffnung schöpfen und eine positive Motivation entwickeln. Das ist ein A und O für die Gesamtbehandlung», sagt der Doktor. Die beste Operation bringe nichts, wenn dem Patienten am Ende die Motivation fehle, wieder aus dem Bett zu kommen.
Jetzt, nach erfolgreicher Entfernung des Tumors, kann Treffkorn wieder planen. Ihren 50. Geburtstag am 20. Juli 2026 will sie ganz groß feiern. Der Plan steht schon fest, verraten will sie ihn lieber nicht - die Freunde sollen schließlich nicht aus der Zeitung von der Überraschung erfahren.
Patientin: «Ich habe wieder Hoffnung, ins Leben zu starten.»
Sabine Treffkorn weiß, dass sie noch nicht endgültig über den Berg ist. «Ich muss jetzt noch einmal eine Chemotherapie machen, aber es ist ein anderes Gefühl. Bei der ersten Chemo wusste ich nicht, wo der Weg hingeht und ob das überhaupt hilft. Aber jetzt weiß ich, es ist ein Abschluss. Ich habe wieder Hoffnung, ins Leben zu starten.»
Damit ist sie nicht allein. Jedes Jahr werden am dritten Donnerstag im November auch in Deutschland Gebäude lila angestrahlt, um auf Pankreaskrebs aufmerksam zu machen. Oft sind es Krankenhäuser. In Dresden dienten immer wieder auch Wahrzeichen der Stadt wie die Semperoper oder die Elbbrücke Blaues Wunder diesem Zweck. Am kommenden Donnerstag wird es das Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sei.
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