Wer kennt das Wort Kolophonium? Klingt irgendwie nach einem alten Musikinstrument, oder? Nein, es ist ein technisches Flussmittel, welches zum Weichlöten benötigt wird. Damit der Lötzinn auch tatsächlich auf dem heißen Draht hält. Heute wird es in der Leistungselektrik nicht mehr verwendet. Der Lötkolben auch nicht. Bei hohen Stromstärken könnte das Lötzinn schmelzen und Kurzschlüsse verursachen, weiß der Großenhainer Lehrausbilder Hendrik Tetzner (42). Er drückt dem Lehrling Mohammad Kazim Mir (17) aus Pakistan ein Kabel in die Hand, und Kazim schiebt eine Aderendhülse aus Metall über den feindrahtigen Leiter. Jetzt kann er angeklemmt werden und der Schutzkontaktstecker ist korrekt angeschlossen.
In der Lehrausbildung der Genossenschaft Elektro Zentrum Großenhain (EZG) lernt jeder alles von der Pike auf. Darauf legt Vorstandsvorsitzender Marko König (49) sehr großen Wert. „Das sorgt für Akzeptanz unter den Kollegen“, sagt König. Er und die Genossenschaft haben zwei klare Regeln für ihre ausländischen Mitarbeiter definiert: Regel Nummer eins ist die Sprachprüfung B2 in Deutsch. Das ist eine gehobene Sprach-Mittelstufe, die nötig ist, um im Berufsalltag kommunizieren zu können.
Da Integration mit Akzeptanz zu tun hat, lautet die Regel Nummer zwei, jeder ausländische Mitarbeiter erlernt den Beruf komplett wie jeder andere im Unternehmen auch. Die Elektrobranche mit ihren sehr einschlägigen deutschen Regeln und Normen (DIN VDE) erfordert das, Anerkennung einer ausländischen Qualifikation macht wenig Sinn. Zudem gibt es Azubi-Patenschaft, um die Qualität der Ausbildung zu erhöhen. Dabei lernen die Azubis von den Paten, was in keinem Lehrbuch steht. Die 1.000 kleinen Dinge, die ein Branchenprofi sich im Laufe der Jahre erarbeitet und erdacht hat, können in kurzer Zeit weitergegeben werden. Damit profitiert der Azubi von einer höheren Ausbildungsqualität und der Pate von einem Cash-Back-Modell, bei dem er bis 100 Euro pro Patenschaftsmonat erhalten kann, wenn er es schafft, den Lehrling nach seiner Ausbildung im Unternehmen zu halten.
Davon profitieren vor allem auch die ausländischen Azubis. Von den aktuell 23 Auszubildenden sind zwei Geflüchtete, unter allen rund 120 Mitarbeitern haben insgesamt 17 eine ausländische Herkunft. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt der Firmen im Landkreis Meißen. Die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen bot der EZG eG eine zusätzliche Chance, dem Fachkräftemangel Herr zu werden. Der Arbeitsmarkt war wie leergefegt. Langsam wird es besser, aber nur ganz langsam. Die ganze Woche auf Baustellen überall in Deutschland unterwegs zu sein, ist nicht jedermanns Sache.
Integration heißt für die Genossenschaft auf keinen Fall eine Bevorzugung der ausländischen Kollegen, sondern immer faire Gleichberechtigung. Deutsche und ausländische Kollegen sollen auf gleichem Level arbeiten. Nur so geht es, sagt König. „Nur so stellen wir eine Akzeptanz untereinander her.“ Als ein Beispiel nennt er Mouhamed (Name geändert) aus Afghanistan. Er wollte, obwohl er schon etwas älter war, die Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudeelektrik in Großenhain beginnen. König sagte zu ihm, sehr gern, aber nur, wenn er die Prüfung B2 in Deutsch schafft. Mouhamed hatte zwar nur die B1, stand aber kurz vor der Prüfung zur B2. König stellte ihn ein. Doch nach vier Monaten Probezeit musste er wieder gehen, denn er hatte die B2-Prüfung nicht geschafft. Ohne das B2 Level geht es nicht, sagt König. Auf der Baustelle wird mehrmals täglich an einem großen Plan die detaillierte Arbeitsaufgabe erläutert. Das muss jeder verstehen, sonst läuft die Verkabelung falsch.
Mouhamed gab aber nicht auf, schaffte seine Deutschprüfung B2 und durfte noch einmal die Ausbildung neu starten. Heute ist er ausgebildeter Facharbeiter und hat selbst einen Azubi als Lernpaten.
Was Marko König positiv auffällt, ist die Etikette, die die ausländischen Mitarbeiter mit ins Unternehmen bringen. Höflichkeit zum Beispiel, Respekt vorm Alter oder vor dem Vorgesetzten. Sie stehen auf, wenn sie in einer Vorstellungsrunde begrüßt werden. Ein gutes Beispiel für die gesamte Lehrlingsmannschaft. Man könnte es sogar als ein Erfolg der Integration bezeichnen, der zurückkommt.
Die EZG eG gewann im Jahr 2023 den sächsischen Integrationspreis. Das Preisgeld von 3.000 Euro hat die Firma verdoppelt und schüttet das Geld an drei bürgerschaftliche Projekte in der Region und an alle acht Kitas aus, in denen Kinder der Mitarbeiter betreut werden. Damit kam das Geld, das sie für die Arbeit mit ausländischen Mitarbeitern erhielten, wieder der Region zugute.
Die Genossenschaft engagiert sich grundsätzlich stark bei sozialen Projekten in der Region. Das ist auch der guten Konjunktur vergangener Jahre zu verdanken. Doch nun spannt sich die wirtschaftliche Lage an. Die Krise am Bau geht auch an den Großenhainern nicht spurlos vorüber. Durch das gute Konzept der Fachkräftegewinnung blickt die Genossenschaft jedoch positiv in die Zukunft, aber mit einem wachsamen Auge. Mit Qualitätsarbeit haben sich die Großenhainer einen guten Ruf erworben. „Wir sind Handwerker“, sagt König. „Und wir geben unsere Erfahrungen an die neuen Generationen weiter.“ Für König definiert sich der Mensch durch seine Arbeit, die er abliefert. Das sind die Werte des Handwerks.
In der neuen Lehrwerkstatt hat Kazim aus Pakistan, der schon 10 Jahre in Deutschland lebt und hier die Schule besucht hat, kein Problem mit der Verlängerung. Er schraubt alles korrekt zusammen. Seine Brüder arbeiten ebenfalls als Elektriker im Unternehmen, auch sein Vater ist Elektriker. Kazim findet den Beruf durch die Möglichkeit, auf Montage zu gehen, so abwechslungsreich. Er mag nicht immer am selben Ort arbeiten. Auch Azubi Justin Müller (17) schraubt den Schukostecker richtig zusammen. Lehrausbilder Hendrik Tetzner nickt zufrieden. Schuki, ein stilisierter Schukostecker, ist übrigens das Maskottchen der innovativen Lehrausbildung der Firma.
Dann geht der Lehrausbilder an eine vorinstallierte Schalttafel. Aus den Dosen ragen allerlei farbige Drähte. Die Azubis sollen die Schaltung korrekt klemmen und erklären, wo Strom fließt oder nicht. Das klappt schon ganz gut. Lehrausbilder Tetzner und sein Vorsitzender König ist nicht Bange um die Zukunft ihrer Branche. Wenn Kazim ausgelernt hat, will er in der Firma bleiben.
Autor: Ulf Mallek
Der Beitrag entstand für den Jahresbericht 2024 des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Er ist hier in einer Langfassung veröffentlicht.