«Ein stressfreies Leben, Musik und immer gerne ein Glas Rotwein und Kaffee». Das scheint das Geheimnis der 111-jährigen Ilse Neumann aus Taucha bei Leipzig zu sein. Die gelernte Schneiderin ist die wohl älteste Sächsin und auch einer der ältesten Menschen in Deutschland. Seit sechseinhalb Jahren lebt sie in einem Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes in Taucha im Landkreis Nordsachsen.
Wenige Tage vor Beginn des Ersten Weltkrieges kam sie am 23. Juli 1914 auf die Welt. Sie erlebte die grundlegendsten Umbrüche des 20. Jahrhunderts – von der Kaiserzeit über beide Weltkriege, den Kalten Krieg und den Mauerfall bis ins digitale Zeitalter. Ihre Ehe blieb kinderlos und nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1976 lebte sie bis zum Umzug ins Pflegeheim allein in ihrer Wohnung in Taucha.
«Ilse hat früher auf unsere Kinder aufgepasst, wenn wir mal tanzen gegangen sind und auch sonst haben wir uns regelmäßig getroffen», sagt Petra Junge. Seit vielen Jahrzehnten betreut sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Reinhard die alte Dame, die ihre Nachbarin war. Auch die Freitage habe man oftmals zusammen verbracht. «Da kam sie zu uns und wird haben bei einer Flasche Rotwein und einer Zigarette das Wochenende eingeleitet.»
Umzug ins Heim nach Sturz und Krankenhausaufenthalt
Generell habe Ilse Neumann ein recht stressfreies Leben gehabt, sei genügsam gewesen und habe vor allem Musik geliebt. Vor einigen Jahren wurden das Ehepaar Junge dann auch Vorsorgebevollmächtigte und kümmert sich um Rentenbescheide, Rechnungen und Behördengänge. Nach einem Sturz und einem längeren Krankenhausaufenthalt kam die hochbetagte Frau in das Altenpflegeheim.
Dort betreut Juana Leutbecher Neumann, die unter einer fortschreitenden Demenz leidet, jeden Tag und weiß von besseren und schlechteren Tagen zu berichten. «Manchmal ist sie fit und erkennt uns aber oft hat sie die Augen geschlossen oder verarbeitet singend den Tag», sagt die Pflegefachkraft.
Wichtig bei der Pflege sei es auf eine gewisse Regelmäßigkeit beim Essen und Trinken zu achten. Zudem wird die 111-Jährige immer wieder in den großen Gemeinschaftsraum gebracht. Dort blickt sie auf die stählernen Rentiere, die jetzt in der Vorweihnachtszeit im Garten aufgestellt wurden oder auf den Wald.
Gute und schlechte Tage
Als Neubacher im Mai 2019 in die Einrichtung kam, war sie noch mit einem Rollator auf eigenen Füßen durch die Eingangstür gegangen. Ihr gesundheitlicher Zustand wurde aber immer schlechter und nun sitzt sie im Rollstuhl oder liegt im Bett. Auch die geistigen Fähigkeiten gingen zurück und sie spricht nur sehr wenig. «Da entscheidet die Tagesform», sagt Leutbecher.
Vor allem für Reinhard Junge ist dies ein nicht leicht zu ertragender Anblick, schon als kleiner Junge kannte er sie. «Wir sind seit mehr als 60 Jahren Nachbarn und sie hat mir früher immer mal wieder einen Apfel gegeben.» Sie sei immer sehr warmherzig gewesen, konnte aber auch sehr direkt sein.
«Wie eine zweite Mutter für mich»
Der jetzige Zustand von Neumann belastet ihn, beim Reden über sie versagt ihm immer wieder die Stimme und er wischt sich Tränen aus den Augen. «Sie ist wie eine zweite Mutter für mich und wir vermissen sie schon sehr», sagt er als ob die alte Dame bereits gestorben sei. Bei den regelmäßigen Besuchen erkennt sie ihn schon seit Monaten nicht mehr.
Wer genau der älteste Mensch in Deutschland ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Weder die Standesämter noch das Bundesamt für Statistik haben exakte Angaben. Als älteste in Deutschland geborene Frau gilt die 113 Jahre alte Ilse Meingast, die aber wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA ausgewandert war. Somit ist durchaus denkbar, dass Neumann der älteste in Deutschland lebende Mensch ist.
Mehr Menschen werden älter als 100 Jahre
Zudem wird die Gruppe der Menschen größer, die älter werden als 100 Jahre. Zum Jahresende 2024 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland rund 17.900 Menschen, die mindestens hundert Jahre alt waren. Das sind 24 Prozent mehr als im Jahr 2011.
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