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#LoveMakesAFamily - Eine Adoptivmama erzählt

Foto: Jon Flobrant, Unsplash.com
Foto: Jon Flobrant, Unsplash.com

Um ein Familienband zu knüpfen, braucht es nicht zwangsläufig gemeinsame Gene. Melina hat es erlebt. Sie zieht ein Kind auf, das sie nicht geboren hat.

Familiäre Bindungen beruhen nicht nur auf biologischer Verwandtschaft. Liebe, Unterstützung und Zusammenhalt sind mindestens genauso wichtig. Menschen verwenden den Hashtag #LovesMakesAFamily oft in den sozialen Medien, um Geschichten von nicht-traditionellen Familienstrukturen zu teilen. Dies kann beispielsweise Adoption, Pflegefamilien, Regenbogenfamilien (mit gleichgeschlechtlichen Eltern), oder jede andere Form von Familie sein. 

Auch Melinas (Name geändert) Familie lebt und liebt unter diesem Motto. Sie hat zusammen mit ihrem Mann ein Kind adoptiert. Ich habe sie getroffen und über diesen Prozess befragt.

Carla: Hallo Melina! Was ist das Besondere an deinem Familienmodell?

Melina: Das Besondere ist das Offensichtliche, ein Kind wächst nicht bei seinen leiblichen Eltern auf. Daher leben alle Beteiligten einer Adoption in einem spannenden Gefüge. Es gibt da – oft unsichtbar - „die andere Seite“ der Familie, mit der man durch die Adoption für immer eng verbunden ist.

Klammert man die Adoptionen im Familienkontext (häufigstes Beispiel ist die Annahme eines Stiefkindes) aus, birgt die Situation unterschiedlichste Herausforderungen: Das Kind muss mit einem Trauma, der Trennung von der leiblichen Familie, und dessen Folgen leben lernen. Es wird daher wahrscheinlich an mehreren Punkten in seinem Leben um seine Identität ringen. Einige Adoptierte wissen viel über ihren Hintergrund, Kinder aus der Babyklappe oder anonymer Geburt können dagegen lebenslang mit Ungewissheit konfrontiert sein.

Adoptiveltern sollten diese Aufarbeitung begleiten, ihr Kind auffangen und ihm einen ausgewogenen Zugang zu seiner Geschichte ermöglichen. Dazu gehört auch, das Kind altersgerecht über die Situation aufzuklären.

Auch vor abgebenden Eltern liegt emotionale Arbeit. Sie müssen mit ihrer Entscheidung leben lernen. Ähnlich wie bei der Trauma-Verarbeitung der Adoptivkinder, geschieht das äußerst individuell und eher phasenweise im Laufe des gesamten Lebens.

Aber zum Glück ist eine Adoption nicht nur geprägt von Herausforderungen. Wir durften inzwischen unzählige kleine und große Wunder an dieser Konstellation entdecken. Allen voran, dass Familie absolut keine Frage gemeinsamer Gene ist. 

Carla: Wie läuft der Adoptionsprozess ab?

Melina: Den ersten Einblick ins Thema liefert das Internet. Neben der Seite des Bundesamtes für Familie, gibt es zum Beispiel Accounts auf Social Media wie Unser Traum vom Kind, Die Kamikazefliege (Auslandsadoption) und Wunschkind Journey, den Podcast Mama über Nacht oder den Blog FamilieBitte (schon etwas älter), deren Adoptionsreise man teilweise in Echtzeit mitverfolgen kann.

Startpunkt für eine Adoption ist immer das örtliche Jugendamt. Dort findet zuerst ein unverbindliches Informationsgespräch statt und man erfährt, wie der spezifische Bewerbungsprozess und die Situation vor Ort aussehen. Etwa, wie viele Kinder jährlich überhaupt vermittelt werden. Das kann je nach Region stark variieren.

Es folgen ärztliche Untersuchungen, Fragebögen und Formulare, Lebensberichte, Schulungen und mehrere Hausbesuche. In der Regel dauert dieser Prozess ein gutes Jahr. Abschließend müssen die Paare abwägen, welche gesundheitlichen und sozialen Umstände eines Kindes sie sich zutrauen. Danach entscheidet das Amt über die jeweilige Eignung als Adoptivbewerber*in. Man wird zertifiziert, in den Vermittlungspool aufgenommen und angerufen, wenn das Jugendamt das Gefühl hat, die Konstellation passt. Hierbei ist zu beachten, dass niemals ein Kind für Eltern gesucht wird, sondern immer Eltern für ein Kind. Beim Matching steht das absolut im Vordergrund, die Wartezeit der potentiellen Eltern fällt weniger ins Gewicht. Sie kann nach Zulassung wenige Tage bis mehrere Jahre betragen. Einen Anspruch hat man trotz erfolgreich abgeschlossener Bewerbungsphase nicht. Bei uns klingelte das Handy zum Glück irgendwann. Vom Liebäugeln mit dem Gedanken bis zum Einzug unseres Kindes vergingen etwa zwei Jahre.

Carla: Wie bereitet man sich auf diesen Tag vor? Schließlich vergehen zwischen Anruf und Einzug eines Kindes oft nur wenige Stunden. 

Melina: Einen Teil der gedanklichen Vorbereitung erledigt man während des Bewerbungsprozesses automatisch. Oft hat man die Möglichkeit, während der Seminartage oder in eigener Recherche, die Geschichten anderer Adoptivfamilien zu hören. Gedanklich kann man sich so auf diverse Gefühle und Herausforderungen einstellen, und wertvolle Tipps für diese Situationen erhalten.

Auch praktisch gibt es Einiges zu organisieren – und manches eher nicht. Erstaunlicherweise fordert nämlich kaum ein Jugendamt vorab ein eingerichtetes Kinderzimmer. Freilich sollten die Räumlichkeiten dafür vorhanden sein, aber sie müssen nicht perfekt vorbereitet auf die neue Nutzung warten. Im Gegenteil, oft wird das als Zeichen dafür gedeutet, dass sich das Paar zu sehr auf den Kinderwunsch versteift. Wie gesagt, auch als zertifizierte Bewerberin oder Bewerber gibt es kein Recht auf Vermittlung. Zusätzlich möchte man die Wartenden auch vor sich selbst beschützen. Niemand läuft unberührt täglich an einem eingerichteten, aber ungenutzten Kinderzimmer vorbei.

Empfohlen ist dagegen eine kleine Grundausstattung (Kleidung für die ersten Tage und eine Babyschale fürs Auto) außer Sichtweite bereit zu halten. Die konkrete Zusammenstellung ist dabei abhängig vom bevorzugten Alter des Kindes, das man bei der Bewerbung angegeben hat. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass alles andere innerhalb weniger Stunden über Kleinanzeigenmärkte und in der Drogerie beschaffbar ist. Nicht selten stehen auch Familie und Freunde schnell und nur zu gern mit diversen Geschenken oder Leihgaben vor der Tür. Möchte man ein Neugeborenes aufnehmen, kann es entlasten, vorab einen Kinderarzt und eine Hebamme anzufragen.

Ansonsten hilft es, möglichst offen zu bleiben. Jede Adoption ist in ihren Umständen und im Bezug auf den Gesundheitszustand des Kindes individuell. Man weiß vorher nicht genau, welche Produkte und Anlaufstellen sich als nötig erweisen.

Carla: Das klingt nach ziemlich viel Arbeit. Wird es nach der Aufnahme entspannter? Und wie fühlt es sich an, wenn der lange Prozess endlich abgeschlossen und das Kind adoptiert ist?

Melina: Bis diese Klarheit besteht, dauert es viele Monate. Zuerst lebt das Kind unter Adoptionspflege in seiner neuen Familie. Sie läuft, bis alles von einem Familiengericht geprüft wurde.

Dafür ist es notwendig, dass beide abgebende Eltern ihr Kind beim Notar zur Adoption freigeben. Die leibliche Mutter kann das frühestens 8 Wochen nach Geburt tun, der Vater theoretisch sofort. In der Praxis kommen diese Termine nicht selten später zustande. Manchmal auch gar nicht. Dann muss in langwierigen Prozessen eine gänzlich andere rechtliche Lösung gefunden werden. Bis zur Freigabe haben die leiblichen Eltern, gemeinsam oder einzeln, in der Regel die Möglichkeit, ihr Kind zu sich zurückzuholen.

Sind die Unterschriften notariell beglaubigt, wird eine Vormundin oder ein Vormund für das Kind eingesetzt. Nach vom Amt festgelegter „angemessener Pflegezeit“, willigen die Adoptiveltern beim Notar ein, das Kind mit allen resultierenden Rechten und Pflichten anzunehmen. Nun beginnt das Familiengericht zu arbeiten, unterstützt von diversen Gutachten. Am Schluss kommt es zu einer Verhandlung, in der die Adoption dann ausgesprochen wird.

Das Recht auf Elternzeit und -geld besteht ab dem ersten Tag der Adoptionspflege für Adoptiveltern ganz regulär. Sorge- oder Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind liegen allerdings bis zum Gerichtsurteil bei dessen leiblichen Eltern bzw. beim Jugendamt. Im Alltag macht sich das zum Beispiel bei medizinischen Fragen oder Ausflügen bemerkbar.

Bis rechtlich gesehen „endlich das eigene Kind“ in der Familie lebt, sind also eine Menge bürokratische und emotionale Hürden zu nehmen. Wie während der Bewerbungsphase und Wartezeit braucht man gute Nerven. Wenn dann endlich der Bescheid des Familiengerichtes im Briefkasten liegt, fühlt sich das natürlich unbeschreiblich an.