Der Leipziger Fachkreis Gewerbeimmobilien fordert eine Kurskorrektur in der Nachhaltigkeitspolitik der Immobilienwirtschaft. Nach Einschätzung der Experten droht die Vielzahl an Regularien, Nachweispflichten und Berichtssystemen die Branche immer stärker auszubremsen. Hierin sehen die Mitglieder eine Ursache für die tendenziell sinkende Investitionsbereitschaft. Die Bau- und Immobilienwirtschaft könnte ihre Rolle in der Energiewende aktiv wahrnehmen, würde sie nicht durch Bürokratie und Komplexität gelähmt.
Überbordende Regulierung gefährdet Investitionsbereitschaft
„Niemand stellt in Frage, dass nachhaltige Immobilieninvestitionen im gesamten Lebenszyklus notwendig sind, betont Prof. Dr. habil. Kerry Brauer, Präsidentin des Fachkreises Gewerbeimmobilien Leipzig. „Die Art und Weise der Umsetzung ist verbesserungswürdig. Wir brauchen weniger Regulierung und mehr Raum für wirksame Maßnahmen.“ Nach Ansicht des Fachkreises hemmen die Vielzahl von Regulierungen den Markt, weil sie einen übermäßigen Dokumentationsaufwand erzeugen, der in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Effekten steht. Zeit und Kapital, die in nachhaltige Investitionen fließen sollten, würden heute vielfach in Berichte, Nachweise und Prüfprozesse gebunden. Das alles verteuert das Bauen.
Sinkende Baugenehmigungen als Symptom einer systemischen Überforderung
Als besonders kritisch bewertet der Fachkreis die rückläufige Investitionstätigkeit. Diese sei ein unübersehbares Symptom dafür, dass sich viele Investoren und Projektentwickler angesichts der wachsenden Komplexität und Unsicherheit zurückziehen. „Das ist ein Warnsignal“, mahnt Brauer. „Wenn sich die Neubautätigkeit, aber auch Investitionen in Bestandsimmobilien weiter abschwächen, verfehlen wir nicht nur unsere Klimaziele, sondern gefährden auch die wirtschaftliche Stabilität der Branche und letztendlich auch den sozialen Frieden im Land.“
Zweifelhafte Datengrundlagen untergraben Glaubwürdigkeit
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die mangelnde Transparenz der Datengrundlagen, auf denen Nachhaltigkeitsbewertungen, CO₂-Bilanzen und ESG-Ratings beruhen. Diese seien häufig uneinheitlich, schwer vergleichbar und methodisch schwach belastbar. „Wir müssen Entscheidungen über Millioneninvestitionen auf der Basis von Daten treffen, die weder einheitlich noch nachvollziehbar sind. Das schafft Unsicherheit und untergräbt Vertrauen“, so Brauer. Nachhaltigkeit muss den gesamten Lebenszyklus im Blick haben und kann nur gelingen, wenn sie auf einer klaren, überprüfbaren und wirtschaftlich tragfähigen Grundlage beruhe.
Anreize statt Verbote – für mehr Handlungsspielraum
Der Fachkreis fordert einen grundlegenden Perspektivwechsel in der Nachhaltigkeitspolitik. Statt weitere Verbote und Auflagen zu erlassen, sollte die Politik auf positive Anreize setzen. Fördermechanismen, steuerliche Vorteile und vereinfachte Genehmigungsverfahren könnten weit mehr bewirken als immer neue Berichtspflichten. „Bauen, Sanieren und Investieren werden nur dann wieder in Schwung kommen, wenn Nachhaltigkeit mit Anreiz und Pragmatismus gedacht wird – nicht mit Misstrauen und Kontrolle“, betont Brauer.
Nachhaltigkeit muss wirtschaftlich tragfähig sein
Nachhaltigkeit könne, so der Fachkreis, nur dann Wirkung entfalten, wenn sie ökonomisch tragfähig bleibt. Steigende Baukosten und eine unübersichtliche Regulierungsdichte erschweren Investitionen erheblich. Bürokratische Übersteuerung führe zu Verzögerungen, Unsicherheit und letztlich zu einer spürbaren Investitionszurückhaltung. „Ein Projekt, das sich wirtschaftlich nicht rechnet, wird auch ökologisch keine Wirkung entfalten“, fasst Brauer zusammen.
Fokus auf Wirksamkeit statt Formalismus
Der Fachkreis plädiert dafür, die Nachhaltigkeitsdebatte wieder auf ihren eigentlichen Kern zu konzentrieren: auf Wirkung statt Formalismus. Maßnahmen wie energieeffiziente Gebäudetechnik, Sanierung im Bestand, zirkuläres Bauen und ressourcenschonende Planung seien der Schlüssel zu echtem Fortschritt. „Wir brauchen weniger Vorschriften und mehr Vertrauen in die Kompetenz derjenigen, die Nachhaltigkeit umsetzen. Nur so wird aus Regulierung wieder Fortschritt“, so Brauer abschließend.