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Pekinger Massaker 1989: Teil der DDR-Geschichte

dpa / Wolfgang Kumm
dpa / Wolfgang Kumm

Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking erinnert heute nichts an den blutigen Militäreinsatz vom 4. Juni 1989 mit Hunderten Toten. Am 30. Jahrestag des Massakers wird es vollkommen still sein. Öffentliches Gedenken wird in China im Keim erstickt. Angehörige der Opfer sind seit Tagen unter besonders strenger Beobachtung. Hausarreste wurden verhängt, manche müssen mit Staatssicherheitsagenten aus Peking weg «in die Ferien». Die Zensur im Internet läuft auf Hochtouren. Software filtert alle Hinweise auf das Blutbad, mit dem die Studentenproteste erstickt wurden.

Das Jahr 1989 ist in China bis heute ein Synonym für Unterdrückung und Blutvergießen. In Deutschland dagegen steht die Jahreszahl für Freiheit und Einheit. Fünf Monate nach dem brutalen chinesischen Militäreinsatz fiel in der DDR vor 30 Jahren am 9. November die Mauer zwischen Ost und West.

Der einstige DDR-Bürgerrechtler und Mitgründer der Ost-SPD, Stephan Hilsberg, meint zu den «dramatischen Vorfällen» von einst, er habe mit den Studenten und Jugendlichen in Peking gefühlt, die für Freiheit und Demokratie eintraten. «Das waren ja auch meine Ziele», sagt der 63-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Zu der Zeit habe man in der DDR deutlich gespürt, wie der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Macht aus den Händen rann sowie Widersprüche und Unzufriedenheit im Land immer größer wurden.

Da sei der demonstrative Schulterschluss der SED mit ihren chinesischen Genossen nichts weniger als eine unverhohlene Drohung an die DDR-Opposition gewesen, wie Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sagt. Der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, Jürgen Reiche, erinnert an die Reaktion von DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker. Sie erklärte nach der Niederschlagung der Proteste in Peking, der Sozialismus müsse mit Waffengewalt verteidigt werden.

Auch die Volkskammer, das DDR-Parlament, solidarisierte sich mit den chinesischen Machthabern. Die Volksmacht habe sich gezwungen gesehen, «Ordnung und Sicherheit unter Einsatz bewaffneter Kräfte wieder herzustellen», wurde damals verlesen. Als eine der wenigen Regierungen in der Welt hieß die DDR-Führung die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung gut - und folgte dem Pekinger Sprachgebrauch, dass eine «konterrevolutionäre Rebellion» zerschlagen worden sei.

Der damals 33-jährige Hilsberg, engagiert in einem kirchlichen Friedenskreis, verfasste ein Protestschreiben. Mit dem Trabi sei er zur chinesischen Botschaft in Ost-Berlin gefahren, erinnert sich der frühere Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Er habe sich ermutigt gefühlt, weil kurz zuvor Oppositionelle erstmals die Fälschung der DDR-Kommunalwahl öffentlich gemacht hatten.

Schon von weitem habe er gesehen, dass Polizisten den Eingang blockierten. «Die waren vorbereitet.» Auf einmal hätten Uniformierte einen jungen Mann, «der so ähnlich aussah wie ich», auf die Ladefläche eines Lastwagens geworfen. «Und er war nicht der Einzige.» Ihm sei mulmig geworden, beschreibt Hilsberg offen. Er sei weitergefahren und habe seinen Protestbrief in den nächsten Briefkasten geworfen. «Ich wollte nicht in den Knast.»

Denn die Staatssicherheit hatte alles im Blick. Minister Erich Mielke wies an, Solidaritätsbekundungen oder Aufrufe dazu «rechtzeitig vorbeugend» zu verhindern oder wirksam zu unterbinden, wie aus einem Schreiben hervorging, das in der Stasi-Unterlagen-Behörde aufbewahrt wird. Doch die rigiden Methoden funktionierten nicht mehr komplett.

In einer Information an die SED-Führung schätzte die Stasi ein: «In Fortführung unterschiedlichster Solidarisierungsaktivitäten für konterrevolutionäre Elemente in der VR China durch feindliche, oppositionelle und insbesondere kirchliche Kräfte in verschiedenen Städten der DDR» habe es vom 25. bis 28. Juni 1989 in zwei Berliner Kirchen Aktionen gegeben - Andachten, Trommelfasten, Transparente, einen Klagegottesdienst. Ähnliche «provokatorisch-demonstrative öffentlichkeitswirksame» Aktionen wurden auch danach beobachtet.

Und in Peking äußerte die kommunistische Führung ihre «besondere Dankbarkeit» für die Unterstützung, als Politbüromitglied Egon Krenz im September 1989 mit einer SED-Delegation zu Besuch kam. Krenz war einer der ersten ausländischen Politiker, die nach dem Massaker nach China reisten, während andere Länder Sanktionen verhängten.

Über den Krenz-Besuch berichteten auch die DDR-Medien. Es sei eine Verbindung zwischen der «Konterrevolution» in China und dem «Rowdytum» in der DDR hergestellt worden, sagt Reiche in Leipzig zu den Berichten. «Daraus resultierten dann später die Rufe auf den Montagsdemonstrationen: «Keine Gewalt», «Wir sind das Volk» und «Wir sind keine Rowdys».» Die anfangs kleinen Proteste wurden dann immer größer.

Die Gefahr, dass die SED-Führung zu einer gewaltsamen «chinesischen Lösung» greifen würde, lag damals durchaus in der Luft. Mit seiner Brutalität war der Militäreinsatz ein abschreckendes Beispiel, das vielleicht in der DDR ein härteres Vorgehen verhindert haben könnte, wie chinesische Studentenführer heute glauben möchten. Aus ihrer Sicht war die Demokratiebewegung auch einer der ersten Dominosteine der großen Veränderungen des späten 20. Jahrhunderts, ohne dass das chinesische Volk die Früchte ernten konnte.

Die Wende Chinas nach dem Militäreinsatz stehe auch «in völligem Widerspruch zu den Ereignissen, die in den kommunistischen Ländern in Osteuropa und Russland im selben Jahr begannen», sagt der bekannte französische China-Professor Michel Bonnin. Das Blutbad habe China nicht nur von seinen optimistischen 80er Jahren, sondern auch von der Entwicklung in der restlichen kommunistischen Welt abgeschnitten. Durch die Freude in der Welt über den dortigen Wandel sei das Tian'anmen-Massaker völlig in den Hintergrund getreten.

Inhalt: dpa - Deutsche Presse-Agentur GmbH

Bilder: dpa / Wolfgang Kumm