Der Virologe Christian Drosten hält es für notwendig, im Fall einer weiteren Pandemie die Rolle der Wissenschaft besser zu definieren. Sie müsse vor überzogenen Erwartungen und Zuschreibungen geschützt werden, sagte er im Corona-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages. Die Aufarbeitung der Pandemie solle auch die Wissenschaft betreffen, zugleich gelte es, deren Grenzen zu reflektieren. Virologen seien nicht dafür zuständig, Aspekte aus anderen Bereichen wie Ökonomie, Psychologie oder Pädagogik zu bewerten und träfen auch keine politischen Abwägungsentscheidungen.
«Nur Politiker treffen die notwendigen Entscheidungen über das Spannungsverhältnis zwischen Gesundheitsschutz und Einschränkung von Individualrechten», sagte der 52 Jahre alte Professor. Die Rolle von Wissenschaftlern und Politikern gelte es sauber zu trennen.
Drosten gegen schematische Pandemie-Planung
Bei allen auf die Zukunft gerichteten Schlussfolgerungen solle nicht vergessen werden, dass das nächste Virus vollkommen andere Eigenschaften haben könnte, sagte Drosten. Eine schematische Pandemie-Planung strikt nach den Covid-Erfahrungen würde unausweichlich zu Fehlern führen. «Jede Pandemie erfordert eine sofortige wissenschaftliche Reaktion.» Deshalb brauche man eine gut finanzierte Infektionsforschung und starke Institutionen des öffentlichen Gesundheitswesens.
Drosten widersprach der Auffassung, er sei der «Architekt» der Corona-Maßnahmen und alleiniger Berater der Politik gewesen. Er habe lange an Corona-Viren geforscht und sich verantwortlich gefühlt, die Öffentlichkeit zu informieren. Alles, was er damals gesagt habe, sei wissenschaftlich belegt, aber nicht alles sei auch hundertprozentig richtig gewesen. So sei das nun mal in einer sich entwickelnden Situation. Ihm sei bewusst, dass in der Öffentlichkeit ein Bild über ihn entstanden sei, das nicht der Realität entspreche. Drosten räumte Fehleinschätzungen ein, etwa über die Auswirkungen der Pandemie in Afrika.
Drosten verteidigt Schutzmaßnahmen
Der Virologe verteidigte Maßnahmen wie die Kontaktbeschränkungen und das Impfen. Die Erkrankung habe sich ohne Symptome oder mit nur geringen Symptomen übertragen. Die Impfung habe die Krankheitslast und Sterblichkeit beträchtlich gesenkt. «Länder, in denen die Impfung besser angenommen wurde, profitierten davon deutlicher als Deutschland.» Beim Vergleich mit Großbritannien werde klar, wie die Schutzmaßnahmen in der ersten Welle gewirkt hätten. Hätte man dieselben Maßnahmen erst drei Wochen später erlassen, wären in der ersten Welle nicht 9.345 Menschen gestorben, sondern knapp 70.000.
Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin und war in der Pandemie ein Experte, auf dessen Beratung sich auch die Politik stützte. Für den sächsischen Untersuchungsausschuss war er als Sachverständiger geladen. Seine Befragung wurde nach zwei Stunden aus Zeitgründen unterbrochen. Drosten soll noch einmal geladen werden.
Der Untersuchungsausschuss war auf Betreiben der AfD-Fraktion eingesetzt worden. Er soll die Arbeit der sächsischen Regierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus kritisch prüfen. In Sachsen kostete die Pandemie bisher rund 17.750 Menschen das Leben.
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