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BREXIT– und was kommt jetzt?

- Die Briten haben sich knapp gegen die EU entschieden
- Der Entscheid ist erst der Anfang vom Ende
- Handelshemmnisse sind anfangs zu erwarten

Das Vereinigte Königreich hat sich tatsächlich für den Ausstieg aus der EU entschieden. Ein noch am Abend vor der Wahl für fast ausgeschlossen gehaltener Schritt.

Gemäß des „European Union Referendum Act 2015 durften alle Staatsbürger Großbritanniens, Irlands und des Commonwealth, die über 18 Jahre alt sind und auch zur Teilnahme an britischen Parlamentswahlen berechtigt gewesen wären, an der Volksabstimmung teilnehmen. Hinzu kamen die Mitglieder des House of Lords und die Commonwealth Bürger in Gibraltar. Die Mehrheit der Wähler hat sich offensichtlich gegen den Verbleib in der EU entschieden.

Ist das das Ende der EU Mitgliedschaft des Vereinigte Königreichs?

Die  Abstimmung stellt nur einen ersten Schritt zum Austritt nach einem wochenlangem Wahlkampf dar und markiert damit den Anfang vom Ende eines langwierigen, rechtlich, politisch und auch historisch bisher beispiellosen Prozesses. Tatsächlich wird sich rechtlich in den nächsten Tagen nichts ändern. Alle Vorschriften bleiben zunächst genau so in Kraft, wie vor der Wahl.
Der Austritt aus der EU erfolgt im Rahmen und unter den Bedingungen des Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). Ziel der Vorschrift sollte die Sicherstellung eines geordneten Ausstiegprozesses eines Mitgliedstaates sein. Formaljuristisch muss die britische Regierung dem Europäischen Rat nun ihre Absicht mitteilen, aus der EU auszutreten.
Auch wenn weder britische noch europäische Gesetze einen Zeitrahmen für die Abgabe der Absichtserklärung zum Austritt vorsehen, kann man schon jetzt davon ausgehen das Premierminister Cameron und seine Regierung wohl nur noch kurz im Amt bleiben und sie, oder die Folgeregierung, sich gezwungen sehen, den Austrittsantrag recht kurzfristig zu stellen.


Verhandlungsdauer und Austritt

Die Verhandlungsphase über die Modalitäten des formellen Austritts und der Abschluss eines Austrittsabkommens können bis zu zwei Jahre ab Mitteilung an den Europäischen Rat andauern.
Das Vereinigte Königreich kann erst austreten, wenn eine Einigung über die Austrittsmodalitäten erzielt wurde, wobei es hierfür einer qualifizierten Mehrheit des Europäischen Rats und der einfachen Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf. Sollte nach zwei Jahren der Verhandlung keine Einigung erzielt werden, bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird der Ausstieg automatisch wirksam und es kommt zu einem rechtlich und politisch abrupten Ende der Mitgliedschaft oder es wird von der Möglichkeit der Verlängerung der Verhandlungsphase Gebrauch gemacht. Da letzteres der Einstimmigkeit bedarf, erscheint es derzeit recht unwahrscheinlich, dass tatsächlich über den Zweijahreszeitraum hinaus verhandelt wird.
Das Verhandlungsergebnis ist entscheidend für die Ausgestaltung künftiger Beziehungen zwischen der verbliebenen EU und dem Vereinigten Königreich.

Mögliche Modelle für die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen

Kommt es zu keiner Einigung, könnten die zukünftigen Handelsbeziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ablaufen. Zwar reduzierten sich die Zolltarife über die WTO zwischen den Mitgliedern in den vergangenen Jahren, dennoch würde diese Regelung zu erheblichen Handelshemmnissen führen und den Handel signifikant verteuern.

Nach dem sog. Norwegischen Modell könnte das Vereinigte Königreich als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) eine Freihandelszone zwischen der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) bildenWenn sich das Vereinigte Königreich dem EWR-Abkommen vertraglich anschließen würde, könnte es zwar weitere eigene Freihandelsabkommen abschließen, würde aber nicht mehr von den Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten außerhalb des EWR profitieren. Das Vereinigte Königreich wäre jedoch als Nicht-Mitglied der EU nicht mehr zur nennenswerten Mitsprache berechtigt. Diese Variante liefe also auf eine gewisse Zahlungsverpflichtung ohne Mitspracherecht hinaus und kann daher wohl ausgeschlossen werden.
Das noch nicht ratifizierte sog. Kanadische Modell gilt als das umfassendste Freihandelsabkommen der EU mit einem Drittstaat. Mit dem Abkommen werden Zölle für Industrieprodukte und die meisten Agrargüter abgebaut, wobei kanadische Exporteure den Produktstandards und technischen Anforderungen der EU nachkommen müssen. Finanzdienstleistungen sind hingegen nicht eingeschlossen und auch bedeutende nichttarifäre Handelshemmnisse bleiben bestehen.

Verhandlungsbasis

Entscheidend für die weiteren Beziehungen ist letztlich die Frage, wie unbeschränkt der künftige Zugang des Vereinigten Königreichs zum EU-Binnenmarkt sein soll. Der Umfang, in dem die vier Grundprinzipien des EUV, der freie Personen-, Dienstleistungs-, Kapital- und Warenverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aufrecht erhalten bleiben, hängt letztlich von dem Ausgang der Verhandlungen ab. Wäre das Vereinigte Königreich nach erfolgtem Austritt juristisch als Drittland zu qualifizieren, wäre einem der größten Finanzplätze der Welt der Marktzugang für sämtliche Finanzdienstleistungen innerhalb der EU erheblich erschwert, im äußerstem Fall versperrt.

Die Folgen für die Finanzbranche

Der Finanzmarkt basiert mittlerweile faktisch auf dem sog. Europäischen Pass, einer Vereinbarung über den erleichterten Zugang von Banken, Finanzdienstleistern, Versicherungsgesellschaften und Investmentfondsmanagern zu anderen EU-Märkten. Können sich die Parteien auf wesentliche Punkte nicht einigen, fällt diese Variante von der vor allem das Vereinigte Königreich profitierte, vollständig weg. Das zurzeit vor allem aus London getriebene Europageschäft vieler internationaler Wertpapier- und Finanzdienstleister müsste in diesem Fall vollständig umstrukturiert werden.
Statt einer Zweigniederlassung oder sogar des Vertriebs ohne dauerhafte Präsenz in einem EU-Mitgliedstaat wäre es erforderlich, eine entsprechende Erlaubnis zumindest in einem der verbliebenen EU-Länder zu beantragen. Schon dieser Vorgang dürfte zu ganz erheblichen Verwerfungen und Veränderungen des Marktes führen.
Auch in der verbleibenden EU ansässige Unternehmen, die im Vereinigten Königreich tätig bleiben wollen, müssten neue Tochterunternehmen errichten, um den dortigen Anforderungen nachzukommen. Banken müssten dann z.B. ganz neue Maßnahmen der Kapitalallokation einleiten. Die Gefahr der Austrocknung bestimmter Märkte ist nicht ausgeschlossen und es muss mit einer signifikanten Verteuerung sämtlicher Finanzprodukte gerechnet werden. In jedem Fall sind also massive Folgen zu erwarten, welche die gesamte Finanzbranche aber auch den Handel in den kommenden Jahren beschäftigen werden. Einige Großbanken hatten ja bereits im Vorfeld der Wahlen gedroht, Schwerpunkte ihrer Aktivitäten in die verbleibende EU zu verlagern. Das mag zunächst positiv für die EU klingen, zieht aber durch die Zersplitterung der Märkte erhebliche Kostensteigerungen nach sich.
Der Finanzplatz Frankfurt am Main könnte von diesem Umstand profitieren, sicher ist das jedoch keineswegs. Auch dieser Aspekt hängt letztlich von den Verhandlungsergebnissen und der Entscheidung der Unternehmungen ab, wo sie sich neu ansiedeln werden. Hier werden ganz sicher Luxemburg und Irland eine große Rolle spielen.

Das Europäische Patentgericht und der internationale Rechtsmarkt

Darüber hinaus ist nicht nur die Finanzbranche vom Austritt des Vereinigten Königreichs betroffen. Als beispielhaft für die weiteren wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen dient hier der Probestart des Europäischen Patentgerichts (UPC). Das UPC und das zeitgleich in Kraft tretende EU-Patent sollen die nationalen Regelungen vereinheitlichen und einen einmalig anzumeldenden EU-weiten Patentschutz garantieren.
Damit das UPC in Kraft treten kann, müssen jedoch mindestens 13 der 25 teilnehmenden Länder dem Projekt zustimmen. Zudem müssen die drei Länder mit den höchsten Patent-Anmeldezahlen - Deutschland, Frankreich und Großbritannien – zwingend zustimmen. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch 2010 festgestellt, dass nur Unionsmitglieder am UPC teilnehmen dürfen. Sollte Großbritannien das Übereinkommen zum UPC nun überhaupt ratifizieren, muss möglicherweise im Anschluss wieder über einen Austritt und die Umgestaltung des Übereinkommens verhandelt werden.
All das sind nur einzelne Beispiele. Sie zeigen, dass wir von Rechtssicherheit weit entfernt sind und turbulente, wenn nicht dramatische Monate und Jahre vor uns liegen. Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich müssen ihre künftigen Beziehungen in zahlreichen Bereichen neu definieren.


Der Autor Jochen Kindermann ist Partner bei Simmons & Simmons in Frankfurt. Er ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht.

DANKE an Rosa Hauch